Wiener Rassismus-Tagung und Berliner Antisemitismusstreit
von Thomas von der Osten-Sacken
Die vor kurzem in Wien am Sir Peter Ustinov Institut durchgeführte Tagung zum Thema Rassismus hat außerhalb interessierter akademischer Zirkel kaum breitere Beachtung gefunden. Zu Unrecht, denn unerfreulicherweise stand diese Tagung in einer Reihe von Versuchen begrifflicher Um- und Neudeutungen, deren Tragweite weit über den rein wissenschaftlichen Horizont hinausreicht.
Auch auf dieser Konferenz waren nämlich Vertreterinnen und Vertreter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) überrepräsentiert, einer Einrichtung, deren Arbeit in den vergangenen Jahren Auslöser einer äußerst kritischen Debatte in Deutschland war. Im Jahre 2008 begann dieses Institut, das bis dahin als seriöse Institution galt, sich verstärkt des Themas Islamophobie anzunehmen. Islamfeindschaft sei, heißt es seitdem, durchaus strukturell mit Antisemitismus vergleichbar, dem „Feindbild Jude“ wird das „Feindbild Muslim“ zur Seite gestellt. Der Leiter des Institutes, Wolfgang Benz, der in Wien höchstselbst das Einführungsreferat hielt, scheut inzwischen selbst die Zusammenarbeit mit Personen nicht mehr, die, wie etwa Sabine Schiffer, Leiterin des in Erlangen ansässigen Institutes für Medienverantwortung, auf obskuren verschwörungstheoretischen Seiten die Verantwortung von Al-Qaida für die Anschläge am 11.9 in Frage stellt und in ihren Publikationen regelmäßig gegen vermeintliche „Drahtzieher“ in Medien und Politik wettert.
Auf einer Tagung zum Thema Feindschaft gegen Muslime, die kürzlich unter Teilnahme von Benz und Schiffer in Erlangen stattfand, wurde gar die Lage der Muslime in Europa mit der von Juden im Deutschland der 30er Jahre verglichen, ein Vergleich, der nicht nur falsch ist, sondern sich selbst den Vorwurf gefallen lassen muss, die in Auschwitz gipfelnde Vernichtung der europäischen Juden zu verharmlosen.
Während so reputierte Wissenschaftler mit entsprechenden Vergleichen den Begriff der Islamophobie wissenschaftlich adeln, findet parallel auf internationaler Ebene im Namen des Kampfes gegen Islamfeindschaft ein koordinierter Angriff auf Meinungs- und Pressefreiheit statt. Seit Jahren nämlich versuchen Vertreter der Organisation islamischer Staaten (OIC) in der UN mit entsprechenden Resolutionen eine Deutungshoheit über Begriffe wie Rassismus und Islamophobie zu gewinnen.
Eine akademisch tragbare Definition aber, was Islamophobie eigentlich sein solle, existiert bis heute nicht. Der Begriff selbst aber wird von Staaten, die von Amnesty, Human Rights Watch und Freedom House als extrem repressiv und unfrei eingestuft werden, vielmehr als Mittel genutzt, Kritik an ihrer Herrschaftspraxis unter Kuratel zu stellen. So heißt es in einer erst im März auf Initiative Pakistans eingebrachten und gegen den Willen der westlichen Länder verabschiedeten Resolution des UN-Menschenrechtsrates, dass fortan die Diffamierung von Religion als schwerwiegende Menschenrechtsverletzung zu ahnden sei.
Was man sich darunter vorzustellen hat, lässt ein Statement von Angelika Königseder vom ZfA erahnen, die sich schon vor einigen Jahren vehement gegen eine Veröffentlichung der umstrittenen Mohammad-Karikaturen ausgesprochen hatte, Diese seien eine „Verletzung des religiösen Empfindens und damit der Menschenwürde vieler Muslime“. Doch gegen die politische Instrumentalisierung dieses Antirassismus durch islamistische Organisationen und Regimes hat man im Umfeld des ZfA offenbar nichts einzuwenden. Der vor kurzem als Referent zum Thema „Feindbild Moslem“ ins ZfA geladene Autor Kay Sokolowsky gab etwa der islamistischen Webseite „Muslim Markt“ ein langes Interview. Die Webseite ist nicht zuletzt ein Propagandaportal für das antisemitische und menschenverachtende Regime im Iran, der Herausgeber Yavuz Özuguz hetzt etwa in einem Jubeltext zum 31. Jahrestag der islamistischen Diktatur gegen „verkommene Exiliraner“ und preist das Regime Khameneis und Ahmadinejads als „Symbol für die Zukunft“. Sabine Schiffer wiederum ist Interviewpartnerin von IRIB, dem staatlichen Hetz- und Propaganda-Rundfunk der Islamischen Republik Iran. Die stets angemahnte Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus sollten die Kritiker und Kritikerinnen der Islamophobie auch selbst treffen!
Der Konfusion wird weiter Vorschub geleistet, wenn Antisemitismus, wie nun auf der Konferenz in Wien von besagter Frau Königseder als „eine spezielle Ausprägung des Rassismus“ abgehandelt wird. Antisemitismus ist weder Vorurteil noch Ausdruck rassistischer Gesinnung. Kurz gesagt: Rasissmus rationalisiert und verfestigt Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse, wie sich etwa im Apartheidssüdafrika oder den alten US-Südstaaten am sinnfälligsten zeigte, Antisemitismus dagegen ist ein Wahn, der, wie Jean Paul Sartre einmal richtig bemerkte, auf den Tod des Juden zielt.
Der Rassist definiert die Mitglieder einer anderen Gruppe meist anhand körperlicher Eigenschaften, wie etwa der Hautfarbe, als minderwertig. Antisemitismus funktioniert über einen wahnhaften Projektionsmechanismus: Juden stehen für ein abstraktes Prinzip von Weltherrschaft und sind minderwertig zugleich. Rassisten streben nach Separierung und Unterdrückung, auch wenn sie dies Ziel oft mit Gewalt verfolgen und vor Mord nicht zurückschrecken, Antisemitismus zielt dagegen per se nach Vernichtung.
Dies relativiert nicht etwa rassistische motivierte Morde und Gewalttaten, sondern beharrt auf einen Unterschied, den einzuebnen nur zu einer Verharmlosung der weiter virulenten antisemitischen Gefahr führt. Dem iranischen Regime etwa geht es um Auslöschung des Staates Israel und seiner jüdischen Bewohner, nicht um ihre Versklavung oder Ausbeutung. Anders sind die unzähligen Äußerungen von Präsident Mahmoud Ahmadinejad oder anderer iranischer Politiker, die Israel als „Krebsgeschwür“ bezeichnen, nicht zu verstehen.
In vielen Ländern des Nahen Osten drucken staatliche Verlage die „Protokolle der Weisen von Zion“ und Hitlers Mein Kampf gehört etwa in den palästinensischen Autonomiegebieten zu den meistgelesensten Büchern.
Wer darauf insistiert, dass der antisemitische Wahn etwas anderes ist als Rassismus, verniedlicht damit keineswegs Rassismus und Ausländerfeindschaft. Es sollte den Verantwortlichen gerade in einem Peter Ustinov Institut aber auch klar sein, dass der weiter in Europa virulente, auch institutionalisierte, Rassismus gegen Menschen mit migrantischem Hintergrund wiederum etwas anderes ist, als der von islamischen Staaten und islamistischen Bewegungen instrumentalisierte Begriff der Islamophobie.
Es wäre deshalb erfreulich, in Wien wäre man in Zukunft vorsichtiger, um nicht die Fehler des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin zu wiederholen. Dafür ist das Thema viel zu ernst.
Thomas von der Osten-Sacken
Thomas von der Osten-Sacken ist Geschäftsführer der im Nahen Osten tätigen Hilfsorganisation Wadi e.V. und freier Publizist, Mitherausgeber von „Verratene Freiheit: Der Aufstand im Iran und die Antwort des Westens“, Verbrecher Verlag Berlin, 2010