Offener Brief an den deutschen Außenminister: Warum reden Sie mit Holocaust-Leugnern, Herr Steinmeier?
Berlin, 2. Februar 2016
Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeier,
Am vergangenen Mittwoch, den 27. Januar, gedachten Sie der sechs Millionen vom nationalsozialistischen Deutschland ermordeten europäischen Juden. An diesem Dienstag, kaum eine Woche später, reisen Sie zu außenpolitischen Gesprächen nach Teheran. Der religiöse Führer des Regimes, Ali Khamenei, hat die Shoah wiederholt als „Mythos“ bezeichnet und demonstrativ an diesem 27. Januar auf seiner Website ein Video mit der Aussage „Holocaust is an event whose reality is uncertain“ verbreitet, in dem Holocaust-Leugner als verfolgte Märtyrer der Meinungsfreiheit präsentiert werden. Im Juli dieses Jahres soll im Iran zum dritten Mal ein Holocaust-Cartoon-Wettbewerb stattfinden, der antisemitische und den Holocaust leugnende Karikaturen prämiert. [1]
Die Leugnung der Shoah ist keine nebensächliche Marotte der iranischen Staatsführung. Sie ist vielmehr ein Ausdruck der Zentralität des Antisemitismus für das iranische Regime. Die Führung der Islamischen Republik hat die Holocaustleugnung in das Zentrum ihrer Außenpolitik gerückt und nutzt sie als politische Waffe gegen die größte jüdische Gemeinschaft der Welt: gegen Israel.
Deutlich wurde dieser Zusammenhang bereits 2006, als das iranische Regime die erste Holocaustleugner-Konferenz veranstaltete, die jemals in einem Außenministerium stattfand. In seiner Eröffnungsrede erklärte der damalige iranische Außenminister: Wenn „die offizielle Version des Holocaust in Zweifel gezogen“ werde, müsse auch „die Natur und Identität Israels“ in Frage gestellt werden. [2]
Dieses Ziel, Israel zu vernichten, propagiert die iranische Staatsführung immer wieder. Am 9. November 2014 führte Ali Khamenei in neun Punkten aus, auf welche Weise Israel eliminiert werden könne. Dazu gehörte die Bewaffnung der Westbank nach dem Vorbild des Gaza-Streifens. [3] Den Nuklear-Deal feierte er im September 2015 mit den Worten, dass Israel „die nächsten 25 Jahre nicht mehr erleben“ werde. „Bis dahin werden wir kämpfen, heroisch und mit der Moral des Jihad, um den Zionisten keinen Moment der Ruhe zu lassen.“ [4] Wir sehen im Nuklearabkommen mit dem iranischen Regime deshalb keine Chance, sondern eine große Gefahr.
Sehr geehrter Herr Außenminister, anlässlich des Gedenktages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz sagten Sie: „Unter die Geschichte kann man keinen Schlussstrich ziehen“. Sie betonen auch, dass sich niemand in Europa sicher fühlen kann, wenn sich „Juden, Andersgläubige und Andersdenkende“ in Europa nicht sicher fühlen.
Ein antisemitisches Regime wie das in Teheran kann kein Partner der Bundesrepublik Deutschland sein. Angetrieben von seiner antisemitischen islamistischen Ideologie fördert das Regime in Teheran auch den Terror in der Region. Durch die Unterstützung islamistischer Milizen im Irak und in Syrien hat das iranische Regime zur konfessionellen Spaltung und zur Radikalisierung der Bevölkerung in beiden Ländern beigetragen und ist dadurch für den Aufstieg des Islamischen Staates wesentlich verantwortlich. Die iranische Hilfe für Assad verhindert einen Friedensprozess in Syrien und im Mittleren Osten und bedeutet eine weitere Eskalation der Flüchtlingskrise.
Auch von einer vielbeschworenen innenpolitischen Öffnung unter Rohani kann keine Rede sein. Im Gegenteil: die an die Tausend Hinrichtungen [5] im Jahr 2015 übertreffen sogar die Terrorbilanz von Ahmadinejad. Im Iran finden im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die meisten Hinrichtungen weltweit statt. Das iranische Regime unterdrückt seine eigene Bevölkerung, diejenigen, die sich der islamistischen Ideologie widersetzen, es terrorisiert Homosexuelle, Frauen, Andersdenkende und Andersgläubige.
Wir halten es für die Zukunft von Europas Demokratien für zentral, dass Diktaturen nicht aufgewertet werden und dass der Antisemitismus in all seinen Formen geächtet wird. Akzeptiert die Bundesregierung den islamistischen Antisemitismus oder verhält sie sich ihm gegenüber indifferent, wirkt dies auf die europäischen Gesellschaften zurück.
Sehr geehrter Herr Steinmeier, wir fordern Sie deshalb auf: Ächten Sie die iranische Holocaust-Leugnung und den antisemitischen Holocaust-Cartoon-Wettbewerb öffentlich, scharf und unmissverständlich. Ziehen Sie eine rote Linie bei der Bewaffnung islamistischer und antisemitischer Terrororganisationen und unterstützen Sie demokratische Kräfte im Iran und in der Region.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulrike Becker
Sprecherin STOP THE BOMB
[1] Vgl. Twitter: https://twitter.com/khamenei_ir/status/446928689943420928?ref_src=twsrc und Video: english.khamenei.ir/news/3256/Are-the-Dark-Ages-over. Der Clip bietet auch Bilder von führenden europäischen Holocaust-Leugnern, die als verfolgte Märtyrer der Meinungsfreiheit präsentiert werden. Zum Wettbewerb siehe: iraniansforum.com/eu/.
[2] Boris Kalnoy, Die Welt v. 12.12.2006, www.welt.de/print-welt/article701882/Konferenz-der-Holocaust-Leugner.html, vgl. auch Matthias Küntzel, Warum leugnet der Iran den Holocaust, 20.12.2006, www.matthiaskuentzel.de/contents/warum-leugnet-der-iran-den-holocaust
[3] „Why should and how can #Israel be eliminated? Ayatollah Khamenei’s answer to 9 key questions“, https://twitter.com/khamenei_ir/status/531366667377717248
[4] https://twitter.com/khamenei_ir/status/641520641724780544?ref_src=twsrc